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So hilft Digitalisierung der Artenvielfalt

Es geht um unsere Lebensgrundlage – die Artenvielfalt, die das Ökosystem am Laufen hält. Zu ihrem Schutz wollen Landwirte mithilfe digitaler Lösungen weniger Pflanzenschutzmittel verwenden. Gerade Forscher und Start-ups aus der Schweiz leisten dafür Pionierarbeit.

Von Yvonne von Hunnius

Noch vor wenigen Jahren haben wir uns kaum über eine tote Biene Gedanken gemacht – heute freuen wir uns über jedes summende Exemplar. Durch alarmierende Meldungen etwa zum Bienensterben wissen wir mittlerweile, wie wichtig jedes Tier und jede Pflanze für das Zusammenspiel unseres Ökosystems ist. Fakt ist: Über ein Drittel aller in der Schweiz heimischen Arten sind bedroht. Und auch wenn es viele Ansatzpunkte gibt, sticht in der momentanen Debatte einer besonders heraus: die Landwirtschaft und deren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Wegen hoher Risiken für Bienen ist wie in der Europäischen Union bald auch in der Schweiz der Einsatz bestimmter Insektizide der Gruppe der Neonicotinoide im Freiland verboten. Der Bundesrat hat im letzten Jahr einen Aktionsplan lanciert, um das Risiko durch Pflanzenschutzmittel zu halbieren und Alternativen zu chemischen Mitteln zu fördern. Da kommt die Digitalisierung gerade recht. «Durch clevere digitale und automatisierte Lösungen ist es möglich, 30 Prozent oder mehr des Pflanzenschutzmittels einzusparen», sagt Thomas Anken von der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in Tänikon TG.

 

Das Start-up Agrarpiloten bekämpft mit Drohnen den Schädling Maiszünsler
durch Schlupfwespen in Kapselform. (ZVG)

Ziel: so wenig wie möglich


Bestenfalls greifen Bauern nur dann und nur dort mit gezielten Massnahmen ein, wenn es wirklich notwendig ist. Erstens wird dann weniger an Pflanzenschutzmitteln gebraucht und zweitens ist die Erfolgswahrscheinlichkeit grösser, wenn man das genau passende Mittel für den betreffenden Schädling hat. Laut Thomas Steinger – ebenso Agroscope-Experte – sind die Alternativen zu chemischen Pestiziden vielfältig. Mechanische Massnahmen sind Netze oder Folien. Bei biologischen Lösungen werden etwa Schlupfwespen gegen Maiszünsler eingesetzt, bei mikrobiologischen bekämpfen beispielsweise Pilze die Schädlinge. Geht man biotechnologisch vor, arbeitet man zum Beispiel mit Sexual-Lockstoffen, um die Paarung von Insekten zu verhindern. Eine Schweizer Spezialität, an dem Agroscope-Mitarbeiter intensiv forschen, ist die Heisswasserbehandlung von Ampfer. Im Grünland oder an Gleisen könnten so Unkrautvernich­­tungsmittel ersetzt werden. Steinger sagt: «Für jede Methode gilt: Langfristige Studien müssen aufzeigen, dass deren Einsatz keine unerwünschten Folgen für die Umwelt hat.»

Die Massnahmenpalette an umweltverträglichen Lösungen wird permanent erweitert. Doch Pflanzen punktgenau zu behandeln, ist häufig noch ein Problem. Entweder weil der Personaleinsatz das sehr teuer macht oder weil es schlicht nicht genug aktuelle Informationen gibt. In all diesen Fällen kann die Digitalisierung helfen.

Plattformen für mehr Wissen


Big Data ist hier ein wichtiges Stichwort: Die Internetplattform Agrometeo von Agroscope sammelt Daten von 150 Wetterstationen in der Schweiz und kann mithilfe von Modellen das Infektionsrisiko von Pilzkrankheiten und die Entwicklung von Schädlingen berechnen. So können Bauern leichter entscheiden, wann welche Massahmen nötig sind.

In diesem Bereich ist auch international das Start-up AgriCircle unterwegs, das für
seine Feldmanagementlösung Big Data nutzt. Das Rapperswiler Unternehmen verbindet aktuelle Felddaten mit historischen Wetterdaten sowie Vorhersagemodellen und errechnet damit die Wachstums- und Krankheitsentwicklung von Pflanzen. AgriCircle bietet auch die Möglichkeit, dass sich Bauern untereinander und mit Experten austauschen.

Weitere Infos unter
www.agrometeo.ch

 

Drohnen haben enormes Potenzial


Zwei High-Tech-Bereiche, in denen die Schweiz besonders gut bewandert ist, helfen der noch jungen Agrotech-Branche gleich in vielerlei Hinsicht: Drohnen und Roboter.

Die Gründer des Spin-offs Gamaya der EPFL Lausanne haben eigene Hyperspektralkameras entwickelt, die auf einer Reihe von Plattformen montiert werden können, darunter Drohnen zur Analyse grosser landwirtschaftlicher Flächen. Gamaya verwendet eine Kombination aus hyperspektraler Bildgebung und Satellitenbildern, Datenfusion und künstlicher Intelligenz. Dadurch können Landwirte den Einsatz von Düngemitteln oder Chemikalien optimieren. Thomas Anken sagt: «Genau hier ist noch riesiges Potenzial für Start-ups – im Bereich kostengünstiger Detektions- und Analyseverfahren. Drohnen könnten aus der Luft etwa auch Krankheiten früh erkennen.»

Kornblume (Centaurea cyanus) gehört zu der bedrohten Gruppe der Ackerbegleitflora. Credit: Viesturs, fotolia.com

Drohnen werden aber auch direkt für Massnahmen eingesetzt. Agroscope kooperiert mit dem Start-up AgroFly aus dem Wallis: Deren Sprühdrohne bringt Pflanzenschutzmittel in Weinbergen aus. Dadurch wird massgeblich der Einsatz reduziert, denn alternativ wird der Helikopter genutzt und auf dieser Höhe landet durch sogenannten Abdrift viel dort, wo es nicht hingehört. Seit ein paar Jahren bringen in der Schweiz Drohnen auch Schlupfwespen in Kapselform auf die Felder, die vom Maiszünsler-Schädling bedroht sind. Das junge Unternehmen Agrarpiloten ist hier aktiv.

Roboter arbeiten automatisiert und präzise


Roboter setzt auch das Jungunternehmen Ecorobotix aus Yverdon-les-Bains ein und macht gerade international Schule. Sein Gerät arbeitet direkt auf dem Feld, wo es beim Ausbringen von Unkrautbekämpfungsmitteln zwischen Unkraut und Nutzpflanze unterscheidet. Laut Thomas Anken ist dadurch möglich, bis zu 70 Prozent einzusparen. Ecorobotix und Agroscope arbeiten daran, den Roboter auch in den Gemüseanbau zu bringen. Hier ginge es dann um Fungizide, also Wirkstoffe, die Pilze oder ihre Sporen eindämmen. Dabei könnte nur halb so viel Fungizid nötig werden, als wenn generell gespritzt wird.

Know-how liegt in der Schweiz


Jetzt ist die Zeit reif für Pioniere im Bereich Smart Farming, um einen grossen Markt zu erobern. «Die Hardware ist nicht mehr unerschwinglich, das Know-how liegt in der Software», sagt Anken. Sensoren werden immer preiswerter – und noch haben Forscher in der Schweiz gerade bei Drohnen und in der Robotik viel zu bieten. Eine Drohne kostet im günstigen Bereich zwischen 10 000 und 40 000 Franken und ein Ecorobotix-Roboter knapp 30 000 Franken. Bei solchen Preisen werden heute schon weltweit viele Bauern erreicht. Langfristig könnte das den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich verringern und damit viel getan werden für die Artenvielfalt.

 

 

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