Schweizer Fintech-Start-ups wachsen, doch sie haben noch keine Revolution angestossen. Enttäuschend? Nein, sagt Andreas Dietrich, Leiter des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern. Die Fintech-Evolution wird laut Dietrich unterschätzt.
Interview: Yvonne von Hunnius
Ist der Fintech-Hype vorbei?
Andreas Dietrich: Dem Schweizer Fintech-Markt geht es ausgezeichnet – das haben die Ergebnisse unserer Fintech-Studie 2019 gezeigt. Aber ja, der Hype ist etwas verloren gegangen. Jetzt realisieren viele, dass Fintech im Markt nicht nur disruptiv walten muss. Diese Annahme hatte zu einer Überschätzung geführt. Die Entwicklung ist eher evolutionär, Fintechs sind auch oftmals aktiv im B2B-Bereich oder im Bereich Infrastruktur. Wir sind mittendrin in einem sehr spannenden Prozess, der nicht unterschätzt werden darf, nur weil er langsamer und weniger disruptiv vonstattengeht, als einige das vielleicht erwartet haben.
Wo findet denn das Fintech-Wachstum hauptsächlich statt?
Insgesamt waren in der Schweiz Ende 2018 356 Fintech-Unternehmen, 62 Prozent mehr als ein Jahr zuvor zu finden. Den grossen Wachstumssprung zu verantworten haben die eher Tech-getriebenen Fintechs, die häufig im Blockchain-Bereich zuhause und global angelegt sind. Doch auch bei den finanzgetriebenen Fintechs gab es Wachstum.
Kritiker behaupten, die Schweiz sei deshalb so flott auf den Blockchain-Zug aufgesprungen, weil sie den Start der Fintech-Welle verschlafen hätte …
Die führende Rolle der Schweiz im Blockchain-Bereich hat sich natürlich entwickelt und hatte mit vielen positiven Faktoren zu tun – das Crypto Valley rund um Zug gibt es ja bereits seit vielen Jahren. Jetzt gilt es, diese Stellung zu verteidigen.
Ihrer Untersuchung zufolge liegen Zürich und Genf auf Platz zwei und drei der weltbesten Fintech-Standorte – wie sicher sind diese Spitzenpositionen?
Die Rahmenbedingungen sind weiterhin topp, die neue Fintech-Lizenz weist auch regulatorisch in die richtige Richtung. Nur ein Negativpunkt fällt im internationalen Vergleich auf: Der Einsatz von Technologien im Alltag ist hier weniger weit verbreitet als andernorts. Das sieht man allein bei offiziellen Bewilligungsprozessen.
Welche Rolle spielen die etablierten Schweizer Finanzakteure in der
Fintech-Landschaft?
Sie sind dabei, kooperieren, setzen um – sie sind derzeit aber sehr stark mit dem Bereich der digitalen Prozessoptimierung beschäftigt. Das ist wichtig, gerade auch im digitalen Kontakt mit Kunden. Andere Aspekte wie zum Beispiel «Analytics» werden von den Banken hingegen derzeit noch eher etwas stiefmütterlich behandelt.
Welches Thema hätte Ihr Fintech-Start-up, wären Sie ein Gründer?
Das ist schwer zu sagen, denn es gibt eigentlich kaum eine offensichtliche und grosse Lücke.Es gibt aber noch immer relevante Themen, welche noch nicht aufgenommen wurden und sich gut ins Ökosystem einfügen könnten. Aus der Vergangenheit ist zum Beispiel die cloudbasierte Business-Software von bexio (A.d.R. wurde Mitte 2018 von Mobiliar übernommen) ein schönes Beispiel. Eine Fintech-Idee muss nicht genial, aber ausgezeichnet umgesetzt sein und genau ins Ökosystem passen, damit sie verfängt.
Die Schweiz ist ein Fintech-Land
Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern hat zum vierten Mal die IFZ-Fintech-Studie vorgelegt. Enthalten ist unter anderem das Fintech-Hub-Ranking, das die Schweizer Städte Zürich und Genf nach Singapur und vor London auf den Plätzen drei und vier der weltbesten Fintech-Standorte einordnet. Ende 2018 zählen die Experten 356 Fintech-Unternehmen, 62 Prozent mehr als Ende 2017. Einen Anstieg der Mitarbeiterzahlen und eine Steigerung der Kapitalisierung der Unternehmen sehen sie als Zeichen für den Reifeprozess des Sektors. Das Venture-Capital-Investitionsvolumen im Schweizer Fintech-Sektor stieg laut Studie auf die Rekordsumme von 324 Millionen Franken.