Augmented Reality löst ihr Versprechen ein und erweitert unsere Realität. Denn jetzt erreicht die Technologie breite Zielgruppen. Davon profitieren gerade Print-Medien: So können sie einen direkten Draht zum Leser aufbauen. «booster» mischt seit dieser Ausgabe ganz vorne mit.
Yvonne von Hunnius
Welchen Porsche würden Sie gern für sich fahren und röhren lassen? Sie richten Ihr Smartphone auf den 918-Spyder, sehen den Porsche über die Magazinseite rasen und hören seinen Motorenklang. Ein paar Seiten weiter stolpern Sie über eine Anzeige zu einer Armbanduhr und können via Handy testen, wie sie sich an Ihrem Handgelenk macht. Oder Sie wollen einfach mehr wissen über die Geschichte hinter einem Reportage-Foto? Durch Augmented Reality (AR) kommen Inhalte auf gedrucktem Papier zusammen mit digitalen Informationen. Was bereits so mancher aus Spielen wie «Pokémon Go» kennt, wird gerade zum Trend für Zeitschriften und andere hochwertige Print-Produkte.
«Booster» stellt sich somit an die Spitze des neuen Trends, wenn hier seit dieser Ausgabe AR-Inhalte bereitstehen. Redaktionsleiterin Natalie Kistler sagt: «Wer, wenn nicht ein Magazin für innovative Start-ups, sollte hier vorangehen? Wir hoffen, viele Gründer damit zu inspirieren.»
Eine neue Dimension für Magazine
Das Prinzip ist ganz einfach. Hat der Nutzer eine bestimmte App heruntergeladen, kann er die Kamera des Smartphones oder Tablets über vordefinierte Muster oder Bilder im Printprodukt lenken. Die Software reagiert und los geht es: Das Gerät zeigt die Umgebung über das Display und ergänzt sie um digitale Elemente. «Der Leser kann ein Print-Produkt in den Händen halten und individuell entscheiden, wo er tiefer reingehen will – er entscheidet sogar über die Erzählperspektive», sagt Michael Schnyder, AR-Spezialist der Schweizer Agentur Xtend Interactive. Das eröffnet Print eine ganz neue Dimension und hilft gleichzeitig, seine Stärken auszuspielen. Denn hochwertig aufgemachte Print-Produkte boomen – sie schaffen gerade einen neuen, heiss umkämpften Markt, in dem Design und ausgewählte Inhalte eine harte Währung sind. Durch AR bleibt etwa ein Magazin übersichtlich und handlich, während auf einen der wichtigsten Vorteile der Online-Welt nicht verzichtet werden muss: weitere Informationen. Eine Entwicklung, die redaktionelle Inhalte erweitert und aufwertet sowie auch bei Anzeigen neue Möglichkeiten schafft. Erstens wird der Kanal gelegt zu Details über das Produkt – beispielsweise steht es plötzlich als 3D-Simulation vor dem Leser. Zweitens kann der Weg ins nächstgelegene Geschäft oder in den Online-Store aufgezeigt werden.
Einfacher Zugang wirkt als Booster
Schon lange experimentieren die Grossen der Branche mit AR – etwa die «Süddeutsche Zeitung» mit ihrem Magazin oder die «New York Times» mit Sonderauflagen. Dennoch: AR führte über viele Jahre ein Nischendasein, weil die Technik noch nicht die Massen erreichen konnte. Jetzt ist das anders. Die Kameras der Smartphones sind immer besser geworden, und softwaretechnisch sind etwa alle iPhone-Modelle seit 2015 AR-fähig. Diese Geräte haben heute den Markt ausreichend durchdrungen – gerade in der Schweiz.
Bei Xtend gingen noch vor einem Jahr ein paar Kundenanfragen pro Monat zu Augmented Reality ein. «Heute sind es mehrere pro Woche», sagt Schnyder, der mittlerweile eine lange Latte an Schweizer Projekten mitzuverantworten hat. In Geschäftsberichten grosser Schweizer Aktiengesellschaften spricht da plötzlich der CEO direkt zum Leser. In Katalogen lokaler Möbelhäuser kann man das Sofa gleich in das leere Wohnzimmer einfügen und sehen, ob es sich darin gut macht. Für das Entlebucher Medienhaus hat Xtend eine App entwickelt und es werden regelmässig Augmented-Reality-Inhalte angeboten. Wer will, kann so einen Artikel zum regionalen Alpabzug lesen und diesen per Scan im Videoerleben. «Uns hat überrascht, wie viel höher die Nutzung dieser Angebote ist im Vergleich zum regulären E-Paper», sagt Schnyder. Mit rund 15 Printverlagen arbeitet er derzeit an neuen Konzepten. Mit «booster» wird nun bereits eines realisiert.
Angebote müssen Mehrwert bieten
Auch hier gilt die Marketing-Regel: Es braucht Mehrwert. Wird im neuen Angebot nur auf etwas andere Art wiedergegeben, was ohnehin zu sehen ist, macht es keinen Sinn. Liefert es hingegen Hintergrundinformationen und individuelle Zugangsmöglichkeiten, wird es zum Einstieg in einen neuen Dialog mit dem Nutzer. Immersion ist hierbei ein Schlüsselbegriff – er bedeutet, dass wir eintauchen und ganz unserem Interesse oder Impuls folgen. Das Mittel der Zeit, um das zu erreichen, ist für viele Augmented Reality (AR) und ihre technologische Schwester, die Virtual Reality (VR). Bei beiden Spielarten werden Gefühle angesprochen. Während bei VR jedoch eigene Räume fern des Hier und Jetzt geschaffen werden, liegt der besondere Reiz von AR darin, dass die Wirklichkeit Teil des neuen Gefühls ist. Der Porsche flitzt und röhrt über die Papierseiten; ich sehe mein eigenes Handgelenk mit der neuen Uhr; so kann ich das reelle Raumgefühl testen, wenn das neue Sofa in meinem Wohnzimmer steht. «Es gibt eine direkte Verbindung zwischen der Information oder dem Produkt und dem Nutzer in seiner Welt», sagt Schnyder.
AR ist ein heisser Trend
Dass das Thema «Augmented Reality» gerade zu den heissesten Trends überhaupt gehört, zeigt sich in der fieberhaften Aktivität der Tech-Giganten. Facebook hat im Sommer Werbekunden ermöglicht, AR-Werbung innerhalb der News-Feeds zu schalten. Beispielsweise Microsoft mit seinem HoloLens-Projekt oder Apple arbeiten an eigenen Brillen, um virtuelle Elemente noch besser in die Realität einzubinden. Gerade auch in der Industrie sehen viele Potenzial durch die AR-Geräte. Schnyder sagt: «Eines Tages werden diese Brillen wohl ganz das Handy ersetzen. Doch momentan ist das noch Zukunftsmusik.» Als Nächstes steht an, dass Apps für die erweiterte Realität unnötig werden – Apple hat mit seiner Anwendung ARKit hierfür bereits die Grundlage geschaffen. Und je ausgeklügelter die Technologie wird, desto mehr nützt das auch den klassischen Medien auf Papier.