Codegesetz
Von Theo Favetto, Gründer Neotrivium, www.neotrivium.com
Verträge begleiten uns von der Wiege bis zu den Särgen, in schriftlicher Form oder auch mündlich: Unser Leben basiert geradezu auf Vereinbarungen zwischen zwei Parteien, die ein Produkt, ein Angebot oder einen Service formalisieren und standardisieren – einem juristischen Bauplan gleich ist ein Vertrag in der Regel ein papierenes Schriftstück, auf dem Vereinbarungen, Bedingungen und Sanktionen zwischen zwei Vertragspartnern niedergeschrieben sind. Der Erhalt des Wohnungsschlüssels basiert auf einem unterschriebenen Vertrag. Der Einkauf im Supermarkt ebenso, denn ihm zugrunde liegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen – Regeln, an die man sich mit dem Einkauf stillschweigend zu halten hat. Die Digitalisierung stellt künftig alles auf den Kopf: «Blockchain-Technologien werden eine Neudefinition von Geschäftsprozessen, -rollen, – funktionen und Einnahmemodellen hervorrufen», sagt Isabella Brom, Blockchain and Crypto Technologies Advisor beim Beratungsunternehmen EY.
Die bisher analoge juristische Schicht über den Geschäftsprozessen dringt mit «Smart Contracts» vollständig in sie ein. Smart Contracts halten die digitale Maschine mit Hilfe von Daten nach bestimmten Regeln in Gang und schieben Waren und Prozesse von einem Status in den anderen, solange die festgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind. Die Triggerung von juristischen Bedingungen räumt mit einem alten Grundsatz auf, der besagt, wo kein Kläger, sei kein Richter. Wird in der analogen Welt eine Bedingung nicht eingehalten, passiert nicht unbedingt etwas, automatisch schon gar nicht. Ausser man verfügt über eine höchst aufmerksame Rechtsabteilung.
Viele Anwendungen möglich
Smart Contracts sind ein Stück Programmcode in der Blockchain, das die Logik eines Vertrags abbildet und sich selbständig ausführt. Die technischen Details können wir uns ersparen, auch die Hindernisse bei der Implementierung in die unterschiedlichen Blockchain-Varianten wollen wir ausser Acht lassen. Viel interessanter ist die Frage, wie sich Unternehmertum damit verändert. Nüchtern betrachtet lassen sich digitale Transaktionen verbessert ablaufen. So könnte die Lieferung eines Artikels aus dem E-Shop in Echtzeit auf Vertragsverletzungen überprüft und Gut- oder Lastschriften automatisch ausgelöst werden. Rechnungstellung überflüssig: Die Transaktion ist transparent in der Blockchain festgehalten, die Zahlung erfolgt vollautomatisch nach dem Eingang der Ware in das Kryptogeldwallet der Vertragsparteien. Mittels Triggerung durch Sensoren können hochentwickelte hybride Prozesse gestaltet werden, mit Lebensmitteln etwa, die ihren Qualitätsgrad melden und festgelegte Prozesse oder Zahlungen auslösen. Penaltys werden selbsttätig vom System ausgesprochen, das den Service Level automatisch überwacht und Abweichungen unerbittlich und vor allem fälschungssicher festhält.
Massive Umbauten des Geschäftsmodells werden voraussichtlich Unternehmen erfahren, bei denen der Vertrag oder die Einhaltung eines Vertrags über Verlust oder Gewinn entscheidet. In Copyright-Fragen etwa, bei der Verwaltung von Bildlizenzen. In der Versichungsbranche: In einer «Ubiquitous-Internet-World» werden Policen «on the fly» abgeschlossen und verändern sich unaufgefordert, wenn sich ein Parameter geändert hat, wenn der Versicherungsnehmer etwa plötzlich ein anderes Auto fährt oder einer Risikosportart frönt. Der Smart Contract wird zur smarten Police, wenn die Versicherung automatisch mit einer anderen gebuchten Leistung verknüpft wird, der Flug etwa automatisch eine Annulationskostenversicherung auslöst oder allein die Tatsache, dass man sich in riskantem Gelände bewegt, die Neukalkulation der Versicherung anstösst und das Risiko somit wirklich seinen Preis bekommt. Smart Contracts haben aber auch das Potenzial, die Art und Weise der Zusammenarbeit und Projektarbeit selbst zu verändern. Die Zeit ist nicht mehr der einzige Faktor, der zur Berechnung einer Leistung herbeigezogen werden kann; aufwändige KPI lassen sich in Echtzeit mit Finanztransaktionen verbinden. Projekte lassen sich in einzelne Tasks gliedern, von denen jeder einzelne unterschiedlichen Spezialisten zugewiesen wird. Nach dem Abhaken von einzelnen Schritten erfolgen Zahlungen.
Eine neue Wirtschaft entsteht
Technisch sind Smart Contracts keine grosse Sache, oft genügen wenige Zeilen Code. Dennoch ist ihre Implementierung in die Wirtschaft keine Kleinigkeit. Kai Stinchcombe, CEO eines Finanz- und Beratungsunternehmens, weist in einem vieldiskutierten, technologiepessimistischen Blogbeitrag auf hackernoon.com zu Recht daraufhin, dass sich viele Dinge einfacher analog lösen lassen und dass die Menschen dazu neigen, Dispute zwischenmenschlich und damit vor Gericht auszutragen, der Software somit zu misstrauen. Unfreiwillig beweist er die Gültigkeit von Henry Fords berühmtem Zitat, wonach die Menschen damals lieber schnellere Pferde wollten als Autos – und selbstverständlich kann man seine demokratische Stimme auf ein Blatt Papier kritzeln und dieses in die Urne werfen. So würde die Demokratie jedoch allmählich erstarren, während sich die Welt um sie immer schneller dreht, die Digitalisierung und Automatisierung fortschreitet. Unaufhaltsam. Smart Contracts entfalten hier ihre Stärke. Sie verlagern die juristische Arbeit in die Konzeption von Programmcode, der danach unbestechlich-klaglos seine Arbeit aufnimmt und beiden Vertragspartnern emotionslos die Erfüllung der festgelegten Bedingungen garantiert. Wenn Juristen und Smart-Contract- Entwickler gute Arbeit leisten, sind auch Sicherheitsfragen gelöst, mit einem weiteren Smart Contract wahrscheinlich, der im Falle eines Hacks ausgelöst würde. Mit zunehmenden Anwendungen wird sich auch die Implementierung der im virtuellen länderübergreifenden Rechtsraum laufenden Smart Contracts in das analoge juristische System lösen lassen; vorläufig werden Smart Contracts aber wohl noch in herkömmliche Verträge eingebettet sein und brauchen manche Geschäftsbeziehungen Verträge mit menschlichem Interpretationsspielraum, besonders wenn Menschen direkt mit Menschen zusammenarbeiten. Smart Contracts brauchen Daten. Mit menschlichen Unzulänglichkeiten, Gefühl und Kreativität können sie nicht umgehen. Noch nicht.
Wichtige Quellen und Projekte:
ethereum.org
iota.org
colony.io/
eos.io/
hyperledger.org/projects/fabric
Blockchain – kurz erklärt.
Als Blockchain werden Technologien dezentral verteilter Softwareanwendungen und Datenbanken bezeichnet. Darum wird oft auch das Synonym «Distributed Ledger Technology» (DLT) verwendet. Eine Blockchain besteht aus einer Kette von Informationsblöcken. Diese nehmen alles unveränderbar auf: Finanztransaktionen, Verträge, Aktien, Seriennummern, Verifikationen und so weiter. Jeder Block enthält zusätzlich eine Art Logbuch (Historie). Jeder Block ist verknüpft mit dem vorhergehenden Block und enthält die Historie in Form einer Prüfsumme. Zusätzlich enthält jeder Block eine Prüfsumme über die gesamte Kette. Um an einer Blockchain teilzunehmen, braucht der jeweilige Teilnehmer eine entsprechende Zugangssoftware, das sogenannte Wallet. Ein Wallet basiert auf einem Schlüsselpaar (asymmetrische Kryptographie), bestehend aus einem öffentlichen und einem privaten Schlüssel. Fälschlicherweise werden Blockchains häufig nur auf Kryptowährungen, insbesondere auf den Bitcoin, reduziert. Das dezentrale Prinzip lässt jedoch viele neue Arten von Geschäftsmodellen zu. Stichworte hierzu sind Micro Payment, Smart Contracts, IoT (Internet of Things) und viele mehr.
Smart Contracts
Die einfachste Definition des Begriffs «Smart Contracts» lautet: Ein Vertrag in Form von Programmiercode, der selbsttätig ausgeführt wird, sobald vordefinierte Vertragsbedingungen erfüllt sind. Die Idee hinter den Smart Contracts ist bereits über 25 Jahre alt. Der Kryptologe und Jurist Nick Szabo prägte den Begriff «Smart Contracts» bereits im Jahr 1993. Der bekannteste Vertreter im Bereich Smart-Contracts-Technologien ist Ethereum. Mit seiner dezentralen Plattform, basierend auf einer eigenen Blockchain-Technologie, bietet Ethereum bis dato die einfachste und innovativste Möglichkeit, dezentrale Smart-Contracts-Applikationen zu entwickeln. Die Kombination aus Blockchain- und Smart-Contracts-Technologien ermöglicht es, dezentrale Systeme ohne Macht- oder Besitzansprüche einer zentralen Instanz zu entwickeln. Dadurch lassen sich neuartige Geschäftsmodelle entwickeln, deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht beurteilt werden können.