Auf unseren Schreibtischen zeigt sich am besten, nach welchen Prinzipien sich digitale Innovationen durchsetzen. Dem Zeitgeist entsprechend steht Flexibilität im Fokus. Da zieht manch ausgefeilte Hardware zulasten einer genial einfachen Software den Kürzeren.
Von Yvonne von Hunnius
Der ganze Schreibtisch wird zur digitalen Arbeitsfläche. Dabei kann man sich auf einem touchfähigen OLED-Display im Durchmesser von 1,40 Metern austoben. Und kein Kabel stört mehr – auch das Aufladen der Geräte funktioniert kabellos. So oder so ähnlich könnte es heute in modernen Büros aussehen. «Doch zum Megatrend ist das nicht geworden», sagt Klaus-Peter Stiefel vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Das IAO hat erst 2016 mit Unternehmen Technologien dafür präsentiert, um Arbeitsplätze vom Bildschirm bis zur Tischleuchte komplett kabellos und den Schreibtisch zu einem waagrechten Touch-Monitor werden zu lassen. Doch diese Innovationen haben nur teilweise einen Markt gefunden. Verantwortlich dafür sind wohl alt eingefahrene Muster ebenso wie mächtige Zeitgeist-Trends.
Menschen wollen in die Tasten hauen
Viele technologische Entwicklungen verbreiten sich langsamer, als Experten das vorhergesehen haben. Stiefel zählt touchfähige Oled-Oberflächen dazu. Noch vor kurzer Zeit prognostizierte man im Zuge der Oled-Innovationen das Ende der Rechner-Tastatur mit physischen Tasten. «Menschen aller Generationen schätzen aber die Tastatur mit ihrer haptischen Qualität», sagt Stiefel. Heute wissen Innovatoren wie die Fraunhofer-Forscher, dass sie noch stärkeren Fokus darauf legen müssen, wie neue Lösungen das Bedienen einer Buchstabentaste imitieren.
Arbeitsplätze je nach Bedarf
Der Hauptgrund für den fehlenden Markt der hochinnovativen Arbeitsplätze dürfte aber der Wunsch nach absoluter Flexibilität sein. Der fixe Arbeitsplatz mit Familienfoto und Kaktus verschwindet. Auf die Frage, welche Vorteile ein fixer Schreibtisch heute noch biete, antwortet Stiefel: «Keine. Tatsächlich wollen einfach nur diejenigen nicht von ihm lassen, die schon Jahre an einem solchen arbeiten.» Das Büroprinzip hingegen ist lebendiger denn je. Die Zeiten, in denen Homeoffice als letzter Schrei galt, sind lange vorbei. «Menschen brauchen andere Menschen – es geht dabei nicht nur um geplante Begegnungen in Meetings, sondern auch um zufällige Treffen am Kaffeeautomaten», sagt Stiefel.
Es läuft darauf hinaus, viele unterschiedliche Arbeitsplätze zu ermöglichen – je nach Bedarf. Nicht nur experimentierfreudige IT-Unternehmen fahren eine sogenannte Flexible-Desk-Strategie, bei der jeder Mitarbeitende sich flexibel mit seinem Laptop einen Platz sucht, den er nach erledigter Aufgabe wieder sauber verlässt. Und es müssen die Voraussetzungen dafür gegeben sein, dass ich den Ort komplett wechsle – einen Tag zuhause arbeite, aber auch auf dem Weg zum Kunden, im Coworking-Space oder im Café. Da kann ich schwerlich einen 55-Zoll-Bildschirm-Schreibtisch herumtragen. Bei diesen Entwicklungen setzen sich die Geräte durch, die am leichtesten und am besten transportabel sind. Laptop, Tablet, Smartphone.
Soziale Netzwerke für Firmen
Klar ist: Je minimalistischer die Hardware-Ausstattung daherkommt, umso essenzieller wird die Software als Instrument und natürlich die Cloud als Speicherort. Dabei lautet das Zauberwort für den neuen digitalen Arbeitsplatz Kollaboration, meint Microsoft-Schweiz-Sprecher Tobias Steger. Immer noch neu und besonders erfolgreich bei Unternehmen sind momentan sogenannte Enterprise Social Networks. Den Anfang machte das Tool Slack: 2014 gegründet, nutzen es nach eigenen Angaben heute bereits 50‘000 Unternehmen. Microsoft hat Anfang 2017 mit dem Konkurrenzprodukt Teams den Markt aufgemischt. Vergleichbar in der Ausgestaltung, ist es in das Office-Paket integriert und zählt 200‘000 nutzende Unternehmen. Weitere Anbieter sind Facebook Workplace oder Google Hangout.
Chats steigern die Geschwindigkeit
Hier handelt es sich um genial einfache Tools, die die unternehmensinterne Mailkommunikation durch Chat-Räume ersetzen. Dabei sind Emojis auch bei Nachrichten an den Chef salonfähig. Das macht nicht nur vieles ungezwungener, sondern auch viel schneller. Datenzugriff und Dateneinbindung sind ein Kinderspiel, Partner können in projektspezifische Chat-Räume hinzugezogen werden. Mittlerweile werden auch immer stärker Projektmanagement-Aufgaben integriert, die Einbindung verschiedener Apps ist ohnehin möglich. Für Steger sind diese Tools perfekt für Start-ups geeignet. Es könnten bedarfsmässig Kapazitäten für grosse Projekte hinzugebucht werden. Er sagt: «Generell ermöglicht das ortsungebundene Arbeit im selben Team an denselben Aufgaben und Daten über verschiedene Geräte hinweg.»
Welches Tool langfristig die Oberhand gewinnt, ist noch nicht ausgemacht. Doch diese Lösungen haben genau die Zutaten, die Innovationserfolg versprechen: Wir sind durch die gängigen Networking- und Chat-Programme mit dieser Art der Kommunikation bestens vertraut. Und ihr Ziel ist ein Optimum an Flexibilität in der Arbeit. Setzt sich dann noch das Tablet in einer noch stärkeren Variante gegen den Laptop durch, wie Fraunhofer-Experte Stiefel es prognostiziert, müssen wir zum Arbeiten noch nicht mal etwas aufklappen.
Welche digitale Innovation wird die Zukunft positiv verändern?
«Das Tablet wird momentan vorwiegend noch als Zusatz genutzt, doch hat es das Potenzial, in wenigen Jahren zum Hauptgerät zu werden. Flach, leicht, leistungsstark und mit vielen Schnittstellen versehen, könnte es den Laptop vom Thron stossen.»