Der Verkehr ist massiver CO2-Sünder und 2040 kommt die Schweiz bei der Mobilität an ihre Kapazitätsgrenzen. So geht es nicht weiter. Muss es auch nicht, sagt der Leiter der Mobilitätsakademie Jörg Beckmann. Gerade die Schweiz kann die Verkehrswende schaffen.
Interview: Yvonne von Hunnius
Wenn sich nichts ändert, kommt die Schweizer Verkehrsinfrastruktur etwa 2040 an ihre Grenzen. Wie können Start-ups dazu beitragen, dass das nicht passiert?
Wenn sie bei Sharing-Modellen ansetzen – bei Car-Sharing, bei Bike-Sharing oder Ride-Sharing. Also neue Ideen dafür entwickeln, wie der einzelne kein Auto oder Velo mehr besitzen muss und dennoch flexibel bleibt. Es geht um Alternativen zum privaten Personenwagen. Heute bietet er uns ein Maximum an Autonomie, in dem er über 90 Prozent der Zeit in der Garage steht. Wir müssen klüger mit den Ressourcen umgehen. Dabei ist kollaborative Mobilität die Zukunft und wir sehen, wie viele Start-ups gerade in diesem Bereich gross geworden sind und dabei viel zur Verkehrsentlastung beigetragen haben.
Damit sprechen Sie auf Mobility an,
die auch klein angefangen haben …
Ja – hier sieht man auch, wie die Herausforderungen sich entwickelt haben, denn Mobility versucht, darauf zu reagieren. Als Vorreiter im Car-Sharing hatte Mobility Erfolg auch durch die enge Vernetzung mit öffentlichen Verkehrsanbietern wie der SBB. Zunächst waren die Angebote nur stationsgebunden, dann kam «Freefloating» – Car-Sharing ohne Stationen – und die Möglichkeit, das Auto nicht mehr an den Ursprungsort zurückbringen zu müssen. Jüngst kam mit Mobility-Carpool eine Mitfahr-Plattform hinzu, um die Autos besser auszulasten.
Mobility, PostAuto oder die SBB sind Grössen – ist überhaupt Platz für
Kleine?
Start-ups spielen eine wichtige Rolle! Ihre Projekte können mit dem Geld von Risikokapitalgebern viel schneller realisiert werden als Projekte, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Zudem sind die grossen Akteure in der Schweiz offen für eine Zusammenarbeit. Das ist ein grosser Vorteil, denn der öffentliche Verkehr ist in der Schweiz so gut ausgebaut wie fast nirgendwo. Wenn dieser Part so gut funktioniert wie hier, kann man konkret die erste und letzte Meile angehen – also den Weg zum Bahnhof und den Weg vom Bahnhof zum Ziel.
Wie kann also ein vergleichsweise
kleines Projekt das Auto ein gutes Stück ersetzen?
Es gibt viele spannende Nischen. Schauen Sie sich Carvelo2Go an, das die Mobilitätsakademie in Zusammenarbeit mit dem Förderfonds Engagement Migros ins Leben gerufen hat. Dabei geht es um ein elektrisch betriebenes Lasten-Velo, und wir scheinen damit einen Nerv getroffen zu haben. Unseren Erhebungen zufolge waren 40 Prozent der Fahrten mit dem E-Lasten-Velo zuvor klassische Autofahrten.
Also werden wir noch viele neue Vehikel sehen, die auf kurzen Strecken laufen?
Da lange Strecken über die Bahn zu organisieren sind, ist der flexible Stadtverkehr ein wichtiger Baustein. E-Scooter in Sharing-Systemen sind ein Riesenmarkt. Das US-Start-up Bird ist hier unterwegs und hat erst kürzlich sagenhafte 300 Millionen Dollar eingesammelt. Oder schauen Sie sich die vielen neuen fahrzeugähnlichen Geräte an wie etwa das Bicar von der ZHAW Winterthur, das Velo und E-Auto kombiniert.
Neue Fahrzeuge haben es schwer,
in den Markt zu finden.
Der Markt ist so stark in Bewegung wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das Angebot differenziert sich immer weiter, weil man mehr über die Nutzer weiss und Digitalisierung wie Elektrifizierung ganz neue Typen möglich machen. Und diese Chance erkennen auch grosse Konzerne: Der Autozulieferer Schaeffler tüftelt an einem Bio-Hybrid, einem E-Velo auf vier Rädern, der Riese Continental baut ein neues Lasten-Velo. Dabei kommen auch neue Akteure auf den Plan: Der Versicherer Mobiliar oder die Migros investieren, Energieversorger steigen mit Flottenangeboten ein.
Wenn Mobilität künftig wirklich funktionieren soll, brauchen wir aber Plattformen, die alle Angebote vereinen – sogenannte Mobility-as-a-Service-Lösungen. Wie weit sind wir hier?
Dafür müssen alle Seiten sich noch aufeinander zubewegen und bereit sein, Daten zu teilen. Die Städte müssen zudem clever konzessionieren, damit das Angebot passt. In Deutschland hat es die Plattform Moovel schon weit geschafft. In der Schweiz geht jetzt der Kampf los, wer eine gute Lösung bereitstellt – Post, SBB oder vielleicht TCS. Man darf aber nicht vergessen: Es wird immer auch Stand-Alone-Angebote geben, die nicht Teil der Regelkette sind.
Die Schweiz ist gut aufgestellt, wenn es um Datenverarbeitung geht – wo sehen Sie hier die grössten Potenziale für Start-ups im Mobilitätsbereich?
Daten sind Geschäftsgrundlage von Sharing-Anbietern. Sie wissen, wo wer welche Mobilitätslösung verwendet, und können das Wissen um dieses Nutzerverhalten dazu verwenden, effizienter zu werden und ihr Angebot zu verbessern – etwa Fahrzeuge dort zu positionieren, wo sie wirklich gebraucht werden. Und dabei können Start-ups mit cleveren Algorithmen sehr gut helfen. Zum Beispiel Electric Feel aus Zürich bietet eine komplette Systemlösung für Firmen an, die Shared-Electric-Mobility-Services aufbauen möchten. Sie sind mittlerweile in elf Städten – unter anderem sogar in New York. Momentan kommen viele neue Angebote auf den Markt, und was sie erfolgreich macht, ist die genaue Kenntnis des Nutzerverhaltens.